Beitrag von Ina Jander
In Anchorage
Wir sind in Anchorage, heute kommen unsere Gäste an, morgen startet unser Nordamerikateil.
Der Bus steht noch in Tacoma im Zoll. Es gäbe viel dazu zu sagen, und ich denke, Hans-Peter wird zu gegebener Zeit auch ganz schön viel dazu sagen.
Momentan sind viele Menschen damit beschäftigt, auf verschiedenen Ebenen und über viele unterschiedliche Kanäle, eine „Release“ des Busses aus dem Zoll zu erwirken.
Bis es soweit ist, geht unsere Tour nun mit einem angemieteten Fahrzeug an den Start. Der Bus ist zwar ein wichtiger Teil dieser Reise, aber auch nicht der einzige und auch nicht der Hauptdarsteller, jedenfalls nicht immer (Toli verzeih mir, aber es ist so!).
Die Landschaften und Gegenden, die wir durchfahren, die Naturparks und Städte, die wir besuchen werden, unsere Reisegäste, die vielen menschlichen Begegnungen unterwegs und nicht zuletzt die Begleitung durch unsere Leser, Freunde, Mitreisende, Familienangehörige und Busfans sind ebenso wichtige Bestandteile dieser Reise. Und immer wieder die unschätzbare Lern-Erfahrung, dass in fremden Ländern wirklich andere Sitten herrschen, dass wir herausgefordert sind, unsere Aufgeschlossenheit und Flexibilität und Toleranz auf die Probe gestellt werden. Man lernt auch, wie sehr die eigenen meist unbewussten Erwartungen die tatsächlichen Erfahrungen dann färben, ob man mit etwas klar kommt oder ob man es unmöglich und unzumutbar findet.
Der Flug nach Alaska war wunderbar: da wir erst am Vortag gebucht hatten, bekamen wir keine Plätze nebeneinander mehr, dafür hatten wir beide je einen Fensterplatz. Es hatte keine Wolkendecke oder nur ganz sporadisch, so dass man alles sehen konnte. Einen letzten Blick auf Mt. Rainier, der an diesem klaren Tag wieder majestätisch und unwirklich über der Ebene schwebte, Downtown Seattle, das plötzlich ganz klein schien, Discovery Park, an dem wir einen Nachmittag lang gewandert waren und der nun wirkte wie der Vorgarten eines mittelgroßen Hauses. Man sieht die quadratische Anordnung aller Ansiedlungen und versteht spätestens jetzt, dass für einen Amerikaner die Entfernungsangabe „just down two block“ im ganzen Land eine Größe ist, mit der er etwas anfangen kann.
Aus Flugzeugperspektive hört die Besiedelung nicht weit hinter Seattle bald auf und wir schauen auf bewaldete Inseln, Fjorde, auf den Gewässern winzige Schiffe, von so weit oben oft nur an der weißen Heckwellenspur zu erkennen, auf schneebedeckte Bergketten und kurz vor Anchorage dann viele Gletscher die in alle Richtungen fließen. Keine Straßen, keine Häuser, auf dem Meer keine Boote. Und dann schlängelt der erste Weg wieder durch das Grün oder einem Berghang entlang, und sehr schnell kommen noch welche aus anderen Richtungen dazu, Häuser und Bootsstege, und schon schaut man wieder auf die „Zivilisation“ hinab. Sehr interessant und spannend. Ganze andere Zusammenhänge erschließen sich mir.
Anchorage in Alaska ist für uns wieder kuriose Erfahrung. Dass auch hier Sommer ist, wissen wir natürlich, die Tour ist so geplant, dass wir immer im Sommer fahren. Trotzdem verbinde ich mit Alaska eher niedere Temperaturen, auch im Juli. Vorsichtshalber nehmen wir die Anoraks ins Handgepäck, man kann ja nicht wissen.
Ins Flugzeug steigen drei Männer im Holzfällerformat: groß, bärtig, kariertes Hemd, Jeans und breiter abgewetzter Ledergürtel, klobige Schuhe, flanellige Schildkappe und kein Handgepäck – so hab ich mir das vorgestellt. Aber nur diese drei entsprechen meinem Bild. Das Gros der Passagiere trägt ärmellose T-Shirts und Flipflops. Viele von ihnen wirken nicht wie Touristen, sondern wie Menschen, die nach Hause fliegen, die also genau wissen, was für Temperaturen sie erwarten. Und tatsächlich, in Anchorage ist es heiß! 84 grad Fahrenheit sagt mir der Taxifahrer, keine Ahnung wieviel das in Celsius ist, aber es fühlt sich an wie mindestens 28, ich bin viel zu warm angezogen. Nebenbei erzählt der Taxifahrer auch noch – er hat einen das Herz erwärmenden vertrauten mediterranen Akzent! – dass Alaska 700 Tausend Einwohner hat und 450 Tausend zugelassene Privatflugzeuge. Mehr als Autos. Er scheint zufrieden, denn wir sind gebührend und wirklich beeindruckt, bestimmt erzählt er das allen Touristen und erzielt immer diese Wirkung.
Unserem Reiseleiter Uli Lehmann kommt das etwas unverhältnismäßig vor, er recherchiert im Internet und meint, es könnte sein, dass man eine Null abstreichen sollte. Schade. Mir hat die Geschichte des Taxifahrers besser gefallen.
In Anchorage ist es nicht nur heiß sondern auch ewig hell, wir sitzen noch bis elf Uhr auf einer Terrasse mit Blick aufs Meer und merken gar nicht wie spät es schon ist, es fühlt sich an wie höchstens zwanzig Uhr.
Dafür sind wir kurz nach vier wieder wach, es ist schon so hell, daß im Hotel nebenan die Beleuchtung am Schriftzug ausgemacht wird.
In amerikanischen Hotels gibt es normalerweise kein Frühstück, man geht Frühstücken oder holt sich einen Kaffee „to go“ und irgendwas Süßes aufs Zimmer. Offiziell beginnt unsere Reise morgen, am 26. Juli. Wir sind schon 2 Tage eher da und müssen dafür in einem anderen Hotel unterkommen, unser Tourhotel ist ausgebucht. Dort wird es Frühstück geben. Hier in diesem auch, aber für uns Europäer echt gewöhnungsbedürftig – mal wieder! Es gibt Bagels und Toast und sogar einen Toaster, Butter, Marmelade, Philadelphiakäse, pappsüße Müslis, aber frische Milch. Leicht klebrige Muffins (find ich gut!) und Puddingschnecken, dazu Kaffee und Tee und mein Favourite: zwei Riesenpumpflaschen Coffeemate in den Geschmacksrichtungen „French Vanilla“ und „Hazelnut“ beide mit natural und artificial flavors. Schauderhaft.
Soweit alles ok, es ist nur sehr eng, jeder schmiert sich in einem Zweiquadratmeter Küchelchen seine Stulle bzw bewacht seinen Toast, dann stellt man sich irgendwo im Vorraum der Rezeption an die Wand, wo ein Bord für eben diesen Zweck angebracht ist und leider auch nur wenigen Menschen Platz bietet. Die deutsche Frühstücksgemütlichkeit leider weit und breit nicht in Sicht. Hier ist es ein Glück, dass die Amerikaner diesbezüglich nichts zu vermissen scheinen, sie bringen die Nahrungsaufnahme erstaunlich zügig hinter sich und sind auch schon wieder weg. So können wir Deutschen nun noch etwas gemütlich am Pseudotresen lehnen und uns Zeit lassen.
Bin gespannt, wie das in den anderen Hotels sein wird und welche lieben Angewohnheiten ich noch loslassen muss? Was ich eigentlich begrüße und als Lernerfolg beim Reisen verbuche, nur in der konkreten Situation fehlt mir gelegentlich diese Größe.
Übrigens ist jetzt 23:23 Uhr und es ist immer noch hell, die Sonne ist erst vor kurzem untergegangen.