Regel Nr. 1 für Berichte über ein Gastland: Berichte positiv! Also – die Straßen sind gut. Mindestens ziemlich gut, meistens gut, oft sehr gut.
Regel Nr. 1 für Reiseberichte: Berichte wahrheitsgemäß! Also – beim Blick in die anatolische Landschaft macht sich – zumindest bei mir – die große Tristesse breit. Wenn hier der Hund begraben ist, dann ist es ein einsames Grab. Die Vorstädte Istanbuls lassen es schon ahnen, der Aufstieg ins grüne Bergland macht Hoffnung, die Strecke bis Ankara belehrt eines Besseren, von Ankara über Hochebenen bis Kappadokien bestätigt sich die Befürchtung. Vielleicht liegt es ja auch an den noch kahlen Bäumen und am noch trüben Wetter, das der zunächst seltsam gesichtslosen Landschaft auch nicht schmeichelt. Felder, kleine Dörfer und Weiler (ein paar Häuser und eine Moschee), Städtchen (etwas mehr Häuser, ein Neubaugebiet und zwei Moscheen), Städte (ja genau, System erfasst). An der Straße brandneue Tankstellen, Speditionen, Einkaufsmöglichkeiten und Rastplätze, ein verlorener, direkt an der Straße liegender leerer Kinderspielplatz, dann Werkstätten, in denen der Schmiedehammer vermutlich das modernste Werkzeug darstellt. Ab den Passhöhen dann: Landwirtschaft. Endlose über Hügel gelegte Weizenfelder, Weideflächen, Brachen, ein paar Baumreihen Pappeln oder Nadelbäume gegen den Wind, Hügel bis zum Horizont. Nebraska im Nieselregen ist dagegen ein Rummelplatz. Jetzt seltener Dörfer, Städtchen (obiges Prinzip). Gelegentlich Zäune, deren Funktion im Einfangen verwehter Plastiktüten besteht. Nach langem Schauen auch eine positive Erkenntnis: es gibt kaum die bei uns über Berg und Tal ziehenden Masten. Ein ganzer Rundblick von Horizont zu Horizont ohne Hochspannungs-, Strom- oder Telegrafenmasten. Zumindest für einige Zeit: Kein Stahl, kein Holz, das in die Landschaft ragt.
Dann werden die Felder kleiner und seltener und die Landschaft wird auch Steppe. Darüber ein „niedriger“ dunstig-blauer Himmel, weiße schnell ziehende Wolken, die große Schatten über die Ebene und die kargen Hügel werfen. In der Ferne ein paar Ziegenherden. Hinter einem Traktor, der ein Feld in die Steppe pflügt, patrouillieren Störche.
Gelegentlich eine Stadt an der Straße oder in der Ferne. Ein Erklärungsversuch für die Gleichförmigkeit und Gesichtslosigkeit dieser Siedlungen: Sie scheinen nur aus zwei Typen von Gebäuden zu bestehen. Wohngebäude und Moscheen. Die Zweckbauten, Kasernen, Schulen, Tankstellen sind am Ortsrand. Der Ort selbst besteht optisch aus kleinen und großen Wohnhäusern, ein, zwei, vier, zehn Stockwerke – und alle haben die gleiche Dachform und Neigung. Der Gedanke, dass ein Dach auch eine andere Neigung als 25 Grad haben könnte, hat in Anatolien noch einen schweren Weg vor sich! Die Moscheen im Ortsbild farbig getüncht und von immer gleichen Minaretten umstanden. Schlank und spitz und scheinbar von der Stange. Auch ist die Aluminium- Leichtbauweise dem Kuppelbau sehr förderlich. Es scheint im Stadtbild keine alten Moscheen zu geben, alte Kirchen schon gar nicht, keine Schlösser, Schlösschen, Burgen, Türme, Ruinen über der Stadt. Keine Stadtmauern, weder verfallen noch erhalten. Soviel hart bezahlte Abwechslung haben uns Klerus und Adel in Europa immerhin hinterlassen. Hier dagegen markiert den höchste Punkt das höchste 25 Grad Dach oder je nach Lage die Minarette. Die Stadt selbst endet in einer Brache oder einem Neubaugebiet. Sicher nur eine Impression aus dem Bus heraus.
Regel Nr. 2 für Berichte über das Gastland und Reiseberichte: Ende versöhnlich!
Das fällt leicht. In Kappadokien wickelt sich gelegentlich ein Dörfchen um eine Tuffstein-Fluchtburg, die Landschaft ist bizarr voll farbiger Fels- und Erdformationen und das Hotel Melis ein aus Tuff gebautes, in den Tuff gegrabenes, mit Teppichen ausgelegtes kleines Labyrinth. Und morgen früh klingelt um 04.45 der Wecker zur Ballonfahrt.
Mandy/W.Nussbaumer