Text und Filme: Hans-Peter Christoph
In China haben Kleinstädte oftmals 300 000, 500 000 oder eine Million Einwohner. Yinning, Turfan, Hami, Jiayuguan, Zhangye oder jetzt Kaifeng sind solche „Kleinstädte“ entlang unserer Route. Ein Ort in der Größe Freiburgs wäre mittleres Dorf. Mittelgroße Städte sind Urumqi oder Lanzhou mit drei bis vier Millionen. Xi’an mit etwa acht Millionen ist die erste „richtige“ Großstadt Chinas auf unserem Weg nach Shanghai.
Einfahrt nach Kaifeng, eine typische Kleinstadt mit 800 000 Einwohnern. Mit maximal 35 km/h rollen wir die sechsspurige Straße entlang. Keiner drängelt, viele fahren auch nur 15, 20 oder 30 km/h. Welche Spur man dabei benutzt scheint egal zu sein. Das bedeutet, dass manche auf der linken Spur mit 20 bis 30 entlangzockeln, andere schleichen auf der rechten Spur, und manche auf der mittleren. Autos, LKWs, Linienbusse, Lieferwagen, Roller, dreirädrige Mopeds und Elektrofahrräder, jeder fährt, wo er will und egal mit welchem Tempo. Um unsere Geschwindigkeit von etwa 35 bis 40 halten zu können, nutzt Stefan sämtliche Spuren, genauso wie es die Chinesen machen, die ebenfalls zu den schnelleren gehören. So gestaltet sich unsere Einfahrt zu einer gemütlichen Slalomfahrt um geringfügig langsamere Verkehrsteilnehmer. Manchmal kommt uns auf unserer Spur auch ein Fahrzeug entgegen. Aber niemanden kümmert das, man weicht eben aus, drängelt ein bisschen nach links oder nach rechts und setzt dafür die Hupe ein. Alle machen das so. Der Verkehr gleicht einem trägen Fluss. Die einzigen Strudel darin sind die Kreuzungen. Denn um nach links abzubiegen, wartet man nicht den Gegenverkehr ab, sondern bremst ihn aus …
Einfahrt nach Xi’an. Das Südtor bildet ein Nadelöhr bei der Einfahrt. Nicht mehr fünf bis sechs Spuren stehen unserer Richtung zur Verfügung, am Südtor verengt sich die Straße auf lediglich drei. Staus sind in dieser Achtmillionenstadt sowieso die Regel. So auch hier. Wie bei uns in Deutschland wird gedrängelt und gedrückt. Der einzige Unterschied: Jeder muss mit seiner Hupe auf sich aufmerksam machen, auch im Stand und aus reiner Lebensfreude, und nicht weil Gefahr droht oder man jemanden gefährden will.
Drei Kreuzungen weiter auf der nun vierspurigen Straße müssten wir links abbiegen, um direkt zu unserm Hotel zu gelangen. Die Beschilderung macht jedoch unmissverständlich klar, dass man nur geradeaus oder nach rechts fahren darf. Mitten auf der Kreuzung drei Polizisten, die den Verkehr regeln. Die Polizisten stehen links vor uns mitten in der Kreuzung und winken uns geradeaus. Aber was macht Stefan, ganz Chinese? Er zieht das Rollo des Seitenfensters herunter, damit die Polizisten ihn nicht direkt ansehen können, fährt auf der linken Spur an den Polizisten vorbei und zieht dann nach links, den Gegenverkehr ausbremsend … Der entgegenkommende Linienbus nimmt es gelassen und wartet aus Kollegialität, aber die anderen Autos sind gnadenlos und wollen nicht weichen. Stefan jedoch schiebt sich Zentimeter um Zentimeter weiter in die Kreuzung, bis wir sie zur Hälfte blockieren und gar nichts mehr geht. Gehupe wie immer und allerorten, einer der Polizisten eilt mit finsterer Mine herbei, stutzt, als er die fremde Autonummer sieht und den langnasigen Herrn am Steuer. Auf einmal geht ein Lächeln über sein Gesicht – mit erhobener Hand und wildem Trillerpfeifen bringt er den Gegenverkehr zu Stehen. Stefan hat freie Fahrt, der Polizist winkt, Stefan lässt sein Rollo hoch und winkt zurück.
Autobahn zwischen Xi’an und Kaifeng. Morgens um 11 Uhr, sonnig, Temperaturen um die 33 Grad, viele LKWs, die oft, aber nicht immer die rechte Spur nutzen. Einige fahren auch stundenlang auf der linken Spur. Gerne mit 60 km/h, oft und gerade an Steigungen auch wesentlich langsamer. Niemand regt sich auf, man überholt einfach rechts. Auch viele PKW-Fahrer fahren gerade so, wie es ihnen in den Sinn kommt. Oder in den Unsinn. Auf der Überholspur schleichen sie mit 70 dahin, obwohl die rechte Spur frei und nichts zu überholen ist. Andere dagegen ziehen mit 120 auf dem Standstreifen vorbei, wenn ihnen der Verkehr auf den beiden Normalspuren zu langsam ist. Oder sie halten auf dem Standstreifen an, um breitbeinig Wasser zu lassen und anschließend aus dem Stand gleich auf die Überholspur zu ziehen, obwohl sie noch nicht einmal auf 30 beschleunigt haben. Blind und gehörlos sitzen auch andere am Steuer, manche machen offensichtlich ihre ersten Fahrversuche – natürlich ohne Fahrlehrer. So einer ist es auch, der Stefan zur Vollbremsung zwingt, als er mit höchstens 30 Stundenkilometern auf der rechten Spur schleichend unvermittelt auf die linke Spur wechselt, genau in dem Augenblick, als Stefan mit den erlaubten 100 nahezu auf seiner Höhe ist. Gut, dass wir angeschnallt sind, gut auch, dass der Blinde auch nicht hören kann, wie die Businsassen sein Fahrverhalten beurteilen. So haben wir täglich die tollsten Erlebnisse, auch im Verkehr. Wobei wir trotzdem alles in allem im Vergleich zu 2008 und 2010 bereits eine enorme Verbesserung feststellen. Ganz im Ernst! Und so schnell, wie China sich entwickelt, dürften wir auf der nächsten Reise sicher schon auf portugiesische Verhältnisse treffen. Über die könnte Christian schreiben, der uns die erste Etappe bis Almaty gefahren hat und jetzt am Samstag wieder einmal nach Portugal kommt,. Gell, Christian? Gibt es da auch Fortschritte?
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Anmerkung der Redaktion: Wer sich für die Anekdote aus Portugal interessiert, schaut hier