Endlich!
Heute haben wir uns auf 9 Uhr beim Hafen verabredet, aber Ramon ruft mich kurz nach 8 Uhr im Hotel an und erklärt, dass noch Formulare ausgefüllt werden müssten, und dass ich besser im Hotel warten solle, bis er mir in vielleicht eineinhalb Stunden Bescheid gebe. Es sei aber alles in Ordnung, heute könne ich den Bus in Empfang nehmen. Um zehn ist es so weit, am Hotel stehen viele Taxen und ich kann losdüsen.
Heute, am Samstag, gibt es keinen Stau. Erstens haben viele Kolumbianer die gestrige Aufholjagd zum 3:3 gefeiert, wie ich den Freudengesängen am gestrigen Abend entnehmen konnte, und liegen sicher noch im Bett. Außerdem sind wieder Mopeds, Roller und Motorräder unterwegs. Die Sonne scheint und verdampft die Riesen- Wasserlachen, die das gestrige Abendgewitter verursacht hat. Es war so stürmisch, dass ich mir überlegt hatte, wie lange es noch gehen würde, bis die Fensterscheiben in meinem Zimmer eingedrückt würden. Gefühlt hat es jetzt schon 50 Grad, und wenn ich heute Nachmittag zurück sein werde, sieht mein blaues Hemd aus wie gebatikt, aus so viele weisse Streifen von ausgeschwitztem, getrocknetem Salz sind darauf zu sehen! Ich bin hier in den Tropen, bitte nicht die Nase rümpfen. Das ist schon okay so für mich! In Freiburg ist gefühlt bereits der Winter eingezogen, teilt man mir per SMS mit. Dann geht die Skifahrerei ja bald los! Schön für Euch! Wenn ich eine Abkühlung brauche, stürze ich mich ins karibische Meer vor meiner Haustür oder suche einen klimatisierten Raum auf. Hat alles Vor- und Nachteile!
Als ich beim Hafenbüro eintreffe, ist nur Elvira da – Ramon hat Kopfschmerzen. Von gestern habe ich noch meinen Besucherausweis, und so erübrigt sich die erste Stunde des Wartens. Auch sonst geht es verglichen mit gestern zügig vonstatten mit Papieren und zu leistenden Unterschriften. Dann sind wir auch schon fertig. Sonja fährt mich um den Block an ein anderes Tor. Ich muss meinen Pass abgeben, eine Unterschrift leisten (wer hätte das gedacht?), bekomme eine gelbe Warnweste und einen Helm verpasst. Dann heisst es warten auf den Mann, der mich zum Bus begleiten soll. Ein motorisiertes Dreirad fährt vor und bringt mich in ein Büro. Ich muss die Papiere vorzeigen, eine Unterschrift leisten und soll meine Passnummer daneben eintragen. Muss ich die inzwischen auswendig herunterbeten können? Denn mein Pass befindet sich am Eingangstor! Zum Glück habe ich ein Passkopie dabei.
Dann aber geht es zu dritt zum Bus. Wunderbar rot leuchtet er zwischen weissen, grauen, schwarzen LKWs, Aufliegern und Spezialfahrzeugen hervor. Wieso sind heute alle Nutzfahrzeuge grau, anthrazit und weiss? Vielleicht gibt es eine weltweite Vorschrift, von der ich noch nichts mitbekommen habe?
Ich laufe einmal herum, stelle auf den ersten Blick keine Schäden fest und lasse mich von meinem Begleiter vcr dem Bus fotografieren. Hatte ich Ute aus dem Avanti-Büro versprechen müssen! Den Helm darf ich dafür nicht abnehmen, auch die Warnweste nicht. Egal! Hinein in den Innenraum! Sah der Bus von außen ganz manierlich aus, erwartet mich hier ein erster Schock: Alles, was sich in Verbandskästen, in Taschen, Behältern oder Ablagen befand, liegt wild durcheinandergewirbelt auf den Sitzen und dem Boden! Das Armaturenbrett total verstaubt! Wo ist der Wackeldackel „Schwarzwaldi“, den wir zum Abschied geschenkt bekommen haben? Er ist weg. Und die Christophorusfigur aus Fatima, der Schutzpatron der Reisenden? Ist weg. Die fest installierte Handyhalterung? Weg. Dafür das reinste Chaos in den ersten Reihen und hinten bei den Tischen.
Ich möchte den Motor starten. Geht nicht. Ist vielleicht noch ein Gang eingelegt? Ich möchte den Schalthebel auf Neutral stellen, aber bei der ersten Berührung habe ich ihn in der Hand. Er ist herausgerissen. Wunderbar. Ich stecke ihn auf, finde den Leerlauf, der Motor startet. Wenigstens das. Aber der Schalthebel wackelt herum, ist nicht festzukriegen. Der Staubsauger ist ebenfalls weg, stelle ich fest. Ich bin gespannt, was ich bei der Generalinspektion und beim sauber Machen noch alles vermissen werde!
Nicht verschwunden sind allerdings drei Flaschen Olivenöl, die noch aus Griechenland stammen für unsere Picknicks, der Kaffee, den wir in Kasachstan noch gekauft hatten, und den der chinesiche Zöllner abgreifen wollte, da sind auch die Waschbürste und Abzieher, die Kisten mit Tolis Werkzeug, wobei ich nicht über deren originalen Inhalt Bescheid weiss. Meine Laufschuhe sind da, die alten Wanderstiefel, die Tische fürs Picknick, mein Sonnenhut aus Spanien, und ein altes Jackett, das ich extra hängen gelassen hatte, damit es etwas zu stehlen gab, das ich nicht vermissen würde. Auch eine extra zum Stehlen deponierte Schachtel Zigaretten liegt an ihrem Platz. Was aber sonst noch fehlt, werde ich wohl erst nach und nach mitbekommen, wenn ich ganz routinemässig danach greifen möchte. Wie meine Baseballmütze, mit der ich meine Augen bei Sonneneinstrahlung beschatte, damit nicht ein heruntergelassenes Sonnenrollo die freie Sicht meiner Mitreisenden nach vorne behindert, wie mir eben einfällt. Die ist auch weg. Und das Funkmikrophon!
Der erste Eindruck ist ärgerlich und lässt gleichzeitig hoffen. Es hätte noch schlimmer kommen können. Gelegenheit macht Diebe. Wenigstens haben sie keine Delle reingefahren, wenn auch der Zustand des Schalthebels nicht darauf hindeutet, dass hier Profis am Steuer waren, sondern Gewalttäter. Ob auch die Kupplung malträtiert wurde, lässt sich später am Computer feststellen. Der erste Eindruck ist zwiespältig. Ich werde auf alle Fälle viel Arbeit haben, den Wagen wieder wohnlich herzurichten. Nur ein Frage der Zeit. Und was weg ist ist weg. Staubsauger kann man kaufen, der Rest, der fehlt, lässt sich hoffentlich ebenfalls sukzessive ersetzen – der kitschige Wackeldackel natürlich nicht. Saubande!
Als ich den Rückwärtsgang einlegen will, um aus meinem Parkplatz herauszufahren, geht er nicht rein. Ich kann machen, was ich will, es geht nicht. Aber bevor ich nun nach der ganzen Frustration einen Wutausbruch kriege, nehme ich die Verkleidung ab und sehe nach: Die Gewaltbehandlung des Schalthebels hatte zur Folge, dass ein Gelenk aus der Pfanne gedrückt wurde. Kein Problem, ein Handgriff und der Rückwärtsgang funktioniert.
Am Tor bekomme ich meinen Pass zurück, nachdem ich wieder einmal unterschrieben habe und zusätzlich einen Fingerabdruck abgenommen bekam zum krönenden Abschluss. Elvira lotst mich Richtung Zentrum – ja, ich fahre wieder! Fahre den Bus, der uns nach Shanghai gebracht hatte, der nun so viele Wochen nicht dabei sein konnte, weil ein kleiner amerikanischer Zöllner seine Macht beweisen musste. Endlich wieder unser Bus, der uns nun zumindest noch den letzten Abschnitt wieder ein rollendes Wohnzimmer sein wird auf dem Weg nach Feuerland.
Jetzt steht er gut bewacht vor dem altehrwürdigen Hotel Caribe in Cartagena las Indias, das von der kolumbianischen Regierung zum Nationaldenkmal erklärt wurde und wartet auf Abenteuer. Bald gehen sie weiter!
Viele Grüße aus der Karibik
Hans-Peter Christoph