First exit Ushuaia
Das Ziel der Busweltreise wird zuerst auf den grünen Hinweisschildern sichtbar – Ushuaia 524 Kilometer.
Bis über das Dach mit Schlamm eingesaute Autos, so richtig mit Expeditionspatina, die uns entgegenkommen, geben uns einen Vorgeschmack auf die letzte Etappe, das bevorstehende Ende der Reise bekommt ein Gesicht, Feuerland mit seinen knallgrünen Weideflächen, knallrote Farbkleckser mittendrin sind hin und wieder die Dächer der einsamen Bauernhöfe, dann von Flechten überzogene, große Bäume, in den Tälern der gewaltigen Bergkette, die vor Ushuaia liegt, sind es undurchdringliche Urwälder, dazwischen Sümpfe, abgestorbene Baumriesen und große Schneefelder unterhalb der steil aufragenden Gipfel. Natürlich zwingt uns wieder ein Checkpoint am Stadtrand von Ushuaia, anzuhalten, diesmal steigen wir alle aus, um vor dem Holzturm auf dem in riesigen Lettern der Name der Stadt steht, mit eiskaltem Sekt anzustoßen. Das gefällt der diensthabenden Gendarmin gar nicht, die sich beschwert, dass alle einfach auf der Straße herumlaufen und Fotos machen und droht mit Konsequenzen. Mit Weltreisecharme können wir sie besänftigen und sie beobachtet mit immer noch mißtrauischem Blick das Geschehen um sie herum.
Und dann Ushuaia! Was für ein liebenswertes Chaos. Nicht das von den meisten erwartete düstere Kaff am Ende der Welt, wo der Wind um die Ecken pfeift, ein paar Fischer in Containern hausen und sich abends in der einzigen Kneipe mit patagonischem Bier volllaufen lassen. Ein buntes Häusergewirr, mit viel Phantasie gestaltete Erker und Anbauten, grün, lila, knallrot. Und gelb, und – ein Alptraum für jeden Beamten der Bauaufsicht zwischen Ulm und Unna. Die Stadt liegt vor einem großartigen Panorama, das sofort Lust auf ein Foto macht. Ganz einfach, wenn nicht überall die für den ganzen Kontinent typischen Freileitungen als grafisches Muster über jeder Szenerie liegen würden. Hinter den weit verstreuten Siedlungshäusern ragen schneebedeckte Berge steil auf, was alpiner aussieht als es ist – keiner der Berge ist höher als 1200 Meter. Überall wird gebaut, an jeder Ecke irgendein Provisorium, die Stadt ist nicht, sie wird.
Der Containerhafen am östlichen Rand der Stadt ist beinahe so groß wie die ganze Stadt selbst. Im Irish Pub läuft angenehme Bluesmusik, viele Backpacker in Outdoor Klamotten, dazwischen Kreuzfahrtgäste, die für ein paar Stunden aus ihren schwimmenden Hotelburgen ausgespuckt wurden. Verglaste Erker, Holzrahmen, außen herum blau oder gelb gestrichene Wellblechplatten, Hunde, die gelangweilt in die Sonne blinzeln, auf einmal nimmt der Wind zu und über den Beagle Kanal zieht von Westen eine dunkle Schauerfront heran. Ein paar Minuten später Regen wie im Hollywoodfilm, Schauerfahnen ziehen über den Hafen, die am Kai geparkten Expeditionsfahrzeuge verschwinden hinter Regenschleiern. Nur eine Stunde später glänzen Häuser, Schiffe und Straßen in der Sonne, Ushuaia – vier Jahreszeiten an einem Tag. Alo Ushuaia – steht an der kleinen verglasten Box am Hafen. Daneben viele andere, kleine Kabinen – Telefonieren mit Freunden vom Ende der Welt; das Postamt mit dem begehrten Stempel „fin del mundo“ hingegen ist geschlossen.
Der kleine Ausflugskatamaran gleitet langsam aus dem Hafen. Dass der Beagle Kanal ein maritimes Gewässer ist, merken wir ganz schnell. Schauerböen lassen das Wasser ganz dunkel werden, viele kleine Schaumkämme und kurze, harte Wellen brechen sich am Schiff. Dunkle schnellziehende Wolken über den Gebirgszacken, hat wirklich etwas Dramaturgisches, so stellt man sich das Ende der Welt vor. Kormorane sitzen auf Felsvorsprüngen auf den kleinen Inseln, Seelöwen dösen vor sich hin und dann wird eine dunkle Nadel auf einem dunklen Felsen sichtbar – der Leuchtturm Les Eclaireurs, für uns wirklich der südlichste Punkt, den wir nun erreichen. Für einen Moment reißt die Wolkendecke auf und die roten und weißen Farbringe des Leuchtturms zeichnen sich klar vor der Bergkulisse ab.
Ab jetzt gibt es wiederum nur eine Fahrtrichtung – nach Norden. Das Morgenlicht leuchtet die dicht bewaldeten Bergtäler wunderschön aus, die weißen Stämme werden unter dem grünen Blätterdach gut sichtbar. Ohne ein paar Fotostopps geht es nicht! Vor einer in ganz Feuerland bekannten Panaderia, einer Bäckerei, wo wir ein paar Snacks kaufen, steht eines dieser in Argentinien beliebten Exemplare von Campingbussen (Mercedes 1114, mit runder Schnauze , Baujahr etwa 1972 – für die Busfreaks) die aus unserem Straßenbild als LKW schon lange verschwunden sind.
Also leckere Empanadas, Sandwichs mit Salami, die so aussieht wie in Italien und auch fast so gut schmeckt und dann zum Nachtisch die Alfajores, runde Waffeln, von dicker Schokolade umhüllt. Schokoladenläden gibt es in ganz Argentinien, in allen Varianten und sehr lecker! Alles muss allerdings bis zur chilenischen Grenze wieder verzehrt sein, es ist nur ein kurzes Stück Transit durch Chile aber es dürfen keine Lebensmittel eingeführt werden.
Nachdem wir die Berge Feuerlands hinter uns gelassen haben, breitet sich die Steppe vor uns aus – und das nun schon seit Tagen – über 1200 Kilometer. Mal hügelig, mal topfeben, ab und zu Guanacos, Strommasten, die sich am Horizont in Fata Morganas riesiger Wasserflächen verlieren. Tankstellen, Schrottplätze( da stehen ganze Automobilmuseen!!), immer wieder Checkpoints, manche wollen Passagierlisten, manche nicht, was auf den Listen draufsteht, ist auch nicht so wichtig, Hauptsache Liste, Hauptsache Papier zum Abheften. Immer nett und freundlich – und eben doch Polizeistaat!
Am Fenster zieht wieder ein Posten der Gendarmeria Nacional vorbei, auf der gegenüberliegenden Seite kontrollieren zwei Polizisten einen Kleinwagen, einen Rottweiler an der Leine. Schotterpisten gibt es seit Chile nicht mehr. Gut asphaltiert, kaum Schlaglöcher, breite Landstraße und immer Seitenwind und immer von Westen.
Heiligabend sind wir in Puerto Madryn direkt am Strand, am Atlantik. Wenig los, ewig breiter Strand, lädt zum Laufen ein. Schönes Weihnachtsessen, im Hotel ein paar Gäste, eine kleine italienische Familie auf Rundreise, ein paar Franzosen und Holländer. Eigentlich ein Abend wie jeder andere. Mitternacht dann geht’s los, Böller und Feuerwerk wie bei uns zu Silvester. Das geht lange bis spät in die Nacht. Am nächsten Mittag ist der Strand vor dem Hotel überfüllt mit Badegästen. Familienväter mit dicken Kühltruhen, Windschutzzelte wie bunte Farbtupfer vor der Strandpromenade und fußballbegeisterte Jugendliche spielen das runde Leder quer über den Strand. Die beiden Kreuzfahrtschiffe, die an dem weit ins Meer rausgebauten Anleger lagen, sind wieder weg. Das waren tausende von Gästen für 2 Tage und sogar eine Zeitungsnotiz in der patagonischen Zeitung Diario Jornada wert.
Die Parkplätze sind voll, einige alte US-Straßenkreuzer, stolze Besitzer, die auftauchen, als sie sehen, dass ich Fotos ihrer verblichenen Chromschlitten mache. Renzo erzählt mir, dass sein Ford Falcon von 1971 ist, kaum Probleme macht und nicht mehr als 10-12 Liter verbraucht. Einen Neuwagen kann und will er sich nicht leisten, die anderen Chevys und Fords sind genauso alt aber schon ziemlich runtergekommen. Was sie alle gemeinsam haben, ist der dunkle Sound von sechs und Achtzylinder Motoren. Ein Sound aus Zeiten, in denen sich niemand vorstellen konnte, dass Detroit heute schon fast verlassen ist.
Und das Wetter? Weiter nach Norden wird es immer wärmer, Temperaturen wie bei uns im Juni, tagsüber 24-29 Grad, nachts angenehm kühl, das wird in wenigen Tagen in Buenos Aires noch ganz anders sein, die Hitzewelle, die der Norden Argentiniens zur Zeit erlebt, dauert noch an und selbst im Süden, selbst in Feuerland ist es ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit. Ein Textblock, der heute schon zum festen Repertoire in Zeitungsredaktionen rund um den Globus gehört, Andres, unser Reiseleiter, Menschen in Ushuaia und auch die Einweiser an der Fähre über die Magellanstraße haben uns immer wieder gesagt, dass sie ungewöhnliche Wetterlagen seit Jahren beobachten.
Der Reisetag ist ideal zum Lesen und Schreiben. Einige unterhalten sich, Kaffeeduft zieht durch die Sitzreihen, irgendwann machen wir wieder eine Pause, die Bilder, die wir links und rechts vorbei ziehen sehen, bieten immer wieder Gesprächsthemen. Entspannter kann Reisen kaum sein.