Nachtrag: Theaterbesuch in Taschkent

Text und Fotos von Estella

Aus dem 7. Stock des Hotelkastens fällt mein Blick auf eine Reihe nicht mehr frischer Plakate mit Köpfen in Schwarz-Weiß – und auf zwei Polizisten. Ich rätsele und erfahre am nächsten Morgen, dass hier ein Theater angesiedelt sei. Als ich am frühen Abend eher zufällig daran vorbei komme, erkundige ich mich bei einer Gruppe junger Leute, was heute gegeben wird. Eine junge Frau (ich sehe sie später auf der Bühne) macht auf Englisch Reklame für das Stück, das ich auch ohne russische Sprachkenntnisse verstehen könne, da es mit Musik und Tanz arbeite. Soll ich oder soll ich nicht? Ich krame in meiner Tasche nach Sums, der Währung in Usbekistan. Aber 25.000 (ca. 12 Dollar) habe ich nicht mehr. Wo kann ich so kurz vor Beginn der Vorstellung Geld tauschen? Die Security im Hotel nebenan hilft gerne…, der Kurs ist mir in dem Moment egal. Ich erwerbe (in Zeichensprache) eine Eintrittskarte, werde höflich von den Polizisten ins Theater gelassen – und fühle mich gleich zuhause, oder fast zuhause. Ein phantasievoll gestaltetes Foyer, eine Bar, erwartungsvolle Stimmung. Die Tombola um ein Glas Nescafé ist mir allerdings fremd… Ich schaue mich um, nirgends entdecke ich ein Programm. Aber die Besucherin dort drüben kann ich doch fragen, was heute gespielt wird. Sie stellt sich als Dozentin aus Moskau vor und gibt auf Englisch Auskunft. Sie sei zum zweiten Mal hier in diesem experimentellen Theater, es gebe wieder ein Stück von Alexander Puschkin, sein Titel : „The Imitations of Koran“. Dabei schauen wir uns beide verwundert an: Puschkin und der Koran?

Wir gehen durch einen nur schwach erleuchteten Gang hinunter in den Gewölbekeller.  An den Wänden Fotos, Zeichnungen, Requisiten, die auf die Welt des Islams einstimmen. Ganz nah dran am Bühnengeschehen verfolge ich fasziniert die rasant wechselnden Szenen. Elf Schauspieler, acht Männer und drei Frauen, spielen, tanzen, schreien, flüstern, berühren sich, fliehen voreinander, klatschen, stampfen, wälzen sich auf dem Boden, schlüpfen ständig in neue Rollen, werden von Kameras herangezoomt. Schriftzüge um das Wort „Koran“ tauchen auf. Schade, dass ich die Sprache nicht verstehe! Im Mittelpunkt scheinen zwei junge Männer zu stehen: der blonde schwarz gekleidete Spielmacher und der dunkelhaarige in weißer Kleidung, , der eine Art Initiation durchmacht. Sein Herz wird auf einer Videoeinspielung herausoperiert, eine lange Narbe zeugt davon, der Spieler wird (akrobatisch auf Spiegeln) gedoppelt von einem sich windendenden Mitspieler, mit Wasser begossen und neu eingekleidet. Immer wieder Brüche und Verwandlungen – bis die beiden Protagonisten die gleichen grauen Leibchen anziehen. Verse aus dem Koran oder eher aus Puschkins Poem ertönen live dazu. (Die Stimme erinnert mich an den Muezingesang, der uns auf unserer Reise so oft unbarmherzig geweckt hat, aber diese hier ist melodischer).Eine kleine Band und bisweilen ohrenbetäubende Einspielungen unterstützen und kontrastieren das Geschehen. Manchmal an der Schmerzgrenze für Ohr und Auge, besonders die martialischen Bilder auf der Leinwand! Dann wieder ganz andere und auch leisere Töne… – Klasse, wie in einer besonders turbulenten Szene die tanzenden Frauen loslegen: mit und ohne Schleier,  die attraktivste zeitweise nur mit schwarzem BH und dunkler weiter Hose. Was ist verlockender: entblößt oder verhüllt? – Und die berührende Szene, wie sich eine Frau und ein Mann im Tanz spielerisch locken,sich finden, sich liegend aneinander schmiegen und von dem schweren Mantel, in den die Frau zuvor eingehüllt war,sanft bedeckt werden. Ein behutsames schönes Bild dafür, dass sie nun zusammen gehören. – Verwandlung. Immer wieder wird der Zuschauer überrascht!- Zu all dem, was ich gesehen, gehört, empfunden habe, kann ich naturgemäß nur frei assoziieren: Aufbruch, Erschrecken und Gewalt, Strenge und Lebensfreude, Überzeugung und Zweifel, Fragen und Doktrinen, Sehnsucht und Enttäuschung, Verlangen und Abwehr, Anliegen und Perversionen.

Erst hinterher erfahre ich, in welch brisanter Aufführung ich gewesen bin: Der Gründer und Leiter des Ilchom-Theaters, Marc Weil, ist 2007 vermutlich wegen dieser Inszenierung, die die religösen Gefühle einiger Fanatiker verletzt haben soll, und wegen seiner Homosexualität, zu der er sich offen bekannt und auf der Bühne thematisiert hat, brutal ermordet worden. Jetzt verstehe ich, warum die Polizisten am Eingang des Theaters die Zuschauer kontrollieren.

 

 

Erlebnisse in Taschkent

von Adelheid

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Ganz viel Glück für wenig Geld

In der Altstadt von Taschkent, müde von der Mittagshitze, erfüllt von den vielfältigen Eindrücken auf dem Basar, auf den Rückweg zum Bus; eine Unterführung, auf den Treppenstufen eine Waage mit einem kleinen handgeschriebenen Preisschild: 200 Sum, also ca. 8 Eurocent.

Ich gehe weiter, dann reizt es mich, dieses „Geschäft“ auszuprobieren, und ich kehre um. Die Besitzerin der Waage, eine Straßenkehrerin in blauer Schürze, kommt erfreut auf mich zu, lädt mich mit einer Handbewegung ein, auf die Waage zu steigen und – was sehen meine erstaunten Augen? Nach fast 5 Wochen mit wesentlich weniger Bewegung, aber sicher viel mehr „Zwischenmahlzeiten“ als sonst wiege ich samt Schuhen und Kleidung nur 47 Kilo!!! Jede Frau wird das Glücksgefühl nachempfinden können, das mich spontan durchströmte…, wenn  mir auch alsbald der nüchterne Verstand sagte, dass sich diese Waage um X (hier kann jeder, der mich kennt, eine beliebige Zahl einsetzen) Kilo geirrt haben musste. Ganz beschwingt ging ich Richtung Bus weiter und genehmigte mir glatt noch ein Eis.

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Die Polizei – dein Freund und Helfer

Beim abendlichen Spaziergang zum Theaterplatz in Taschkent ist eine zehnspurige Straße zu überqueren. Kühn will ich mich mitten unter die Autos stürzen, als ich einen  Polizisten erblicke, der den Verkehr zu regeln scheint. Brav warte ich ab, bis er die richtige Position einnimmt, und beginne die Überquerung. Leider bin ich wohl zu langsam, denn, ohne mich zu beachten, dreht er sich um und schon rollen die Autos auf mich zu und hupen, während ich an der dritten Fahrspur stehen bleibe. Das Hupen alarmiert den Polizisten, er dreht sich um, die Autos lassen mich bis zur Straßenmitte passieren und er fängt an zu schimpfen. Da ich nicht reagiere, schimpft er  ungeachtet meines gesetzten Alters immer weiter, bis ich schließlich sage: „I don`t understand you.“ Da wandelt sich blitzschnell seine Miene, er entschuldigt sich ganz offensichtlich und führt mich dann persönlich über die restlichen fünf Fahrspuren.