Ein Besuch beim Kuaför und im Hamman, 18. April

Richtig, zuerst geht’s zum Friseur in dieser unaussprechlichen Grenzstadt Dogubayazit kurz vor dem Iran. In den kleinen Gassen sehe ich gegenüber einem Metzger, der tatsächlich mit einer Axt gerade ein Viertelrind aufteilt und neben einem der hier häufigen Gemischtwarenhändler vor einem Fenster einen Wäscheständer mit mehreren nassen Handtüchern.
Drinnen zwei Drehstühle vor zwei Spiegeln und ein heftig einladender junger Mann, der mir zuwinkt und die Tür öffnet.
Die Einladung wird angenommen, und nach kurzer Begrüßung deute ich unmissverständlich den Wunsch nach Verbesserung der Kopffrisur an. Ehe ich mich versehe, werde ich mit einem Umhang bekleidet und wie aus dem Nichts zaubert der Meister- nennen wir ihn Ali – mit einem Rasierpinsel weichen Schaum auf mein Gesicht. Nun gut. Mit einem frisch ausgepacktem Rasiermesser und unglaublich schnellen Fingerbewegungen entfernt Ali Schaum und Barthaare und bewegt das superscharfe Messer schlagzeugartig – dabei effektiv – über meine Backen, Kinn und Hals: Mit einer Hand zieht er die Haut zusammen, um mit dem Messer in der anderen Hand die Haare möglichst an der Wurzel zu entfernen. Wie ein Tänzer wirbelt er hinter meinem Stuhl umher, zieht mein linkes Ohrläppchen hoch, dann den rechten Mundwinkel in die Länge- ein System erkenne ich dabei nicht!

Ich war schon oft in der Türkei beim Friseur, aber heute erlebe ich etwas Neues: Der Schaum ist weitgehend entfernt, ich erwarte das Schneiden der Haare. Doch schon ist der große Rasierpinsel neu aufgeschäumt und wird zum 2. Male über mein Gesicht gewedelt, wenn ich jetzt „Stopp“ gesagt hätte, wäre der Mund voll Schaum. Und als endlich alle noch so kleinen Barthäärchen verschwunden sind, säubert mich Ali mit einem warmen Tuch und schmiert mir direkt anschließend eine hellbraune Paste auf mein Gesicht – und lächelt mich an. Ich weiß, dass diese Creme trocknet und wieder entfernt wird, bevor ich diesen Raum verlasse.
Jetzt greift Ali zum Behälter mit hellrotem heißem Wachs, in das er Wattestäbchen tunkt und sie mir in beide Ohren steckt. Zugleich überzieht er beide Ohrmuscheln komplett mit diesem hellroten Wachs. Zwei weitere Wattestäbchen werden ebenfalls mit Wachs getränkt und mit einem komplizierten Mechanismus in beiden Nasenlöchern verklebt.
In einer Art Geistesblitz hole ich die kleine Kamera aus der Tasche, um einen der wartenden Einheimischen um ein Foto zu bitten- er hat Riesenspaß daran und drückt mehrfach auf den Auslöser.
Was kommt jetzt?
Natürlich ein Glas Tee, Çay, das mir angeboten wird. Aber nur, um die Wartezeit zu überbrücken, bis das Wachs trocken ist.
Jetzt wird’s schmerzhaft!

Zuerst mit einem Ruck aus den Ohrlöchern die Wattestäbchen, die mir triumphierend mit den heraus gelösten Ohrhaaren vor die Augen gehalten und dann mit geübtem Schwung durch die geöffnete Tür auf die Staraße geworfen werden. Dasselbe geschieht mit den Stabchen, die mir aus den Nasenlöchern hängen – da das Ergebnis der Nasenhaarentfernung Ali nicht befriedigt, wird die Prozedur hier noch mal wiederholt. Ich habe beschlossen, mich zunächst ohne weiteren Widerstand Alis Händen zu unterwerfen, ich habe ja Zeit, nur zum Hamman will ich nachher pünktlich sein.

Endlich beginnt der eigentliche Zweck meiner Anwesenheit, das Haareschneiden. Viel ist nicht zu entfernen, zum einen ist die Kopfbehaarung arg spärlich, zum anderen war ich gerade vor 3 Wochen bei Alis Kollege in Freiburg. Aber wie viele Arbeitsgänge mit und ohne Maschine, mit Kamm, Schere und anderen Geräten für Ali nötig sind, um sein gewünschtes Ergebnis zu erzielen, kann ich nicht mehr nachhalten. Für mich war der Haarschnitt recht schnell O.K., aber Ali entdeckte immer wieder noch ein Haar, das 2 mm zu lang war. Und dann erst der Schnurrbart: Auch hier eine Spezialbehandlung mit Kamm und Schere wie üblich, dann aber wurden noch 3 elektrische Schneidemaschinen benutzt, und immer wieder mit Minischere der seitliche Rand korrigiert, wobei der Mundwinkel lateral stark in Richtung Ohr gezogen wurde.

Endlich fertig!

Jetzt durfte ich die Stirn auf ein Handtuch auf das Waschbecken legen. Ali begann mit der Kopfwäsche und der Entfernung der Gesichtspaste, die inzwischen maskenartig erhärtet war. Eine leichte Kopfmassage machte mich glauben, die Sitzung sei zu Ende. Aber die Nasen- und Ohrlöcher mussten erst noch mit einer Spezialmaschine abschließend gereinigt werden, die Gesichts- und Kopfhaut wurde mit wohlriechenden Wässerchen abgeklatscht, das Tuch wurde vorsichtig abgenommen – schnell und problemlos auf der Straße abgeschüttelt –  und ich durfte meine Stirn wieder auf ein Tuch auf das Waschbecken legen.

Was jetzt kommt, ist eigentlich bekannt, war für mich aber neu: Die obligatorische Hals – Nackenmassage begann zwar im Nacken, ging aber den ganzen Rücken runter bis zum Kreuzbein und zwar mehrfach rauf und runter!

Christoph, der gerade hereinkam, konnte über diese Behandlung nur staunen. Danach begann die Zeremonie der Nacken- und Schulterdehnung, nur beim geplanten Einrenken der Halswirbelsäule lehnte ich dankend ab.

Noch ein Wässerchen, und nach genau 55 Minuten hatte Ali sein Werk beendet!
Über den Preis sind wir uns dann auch durch Halbierung seines ersten Vorschlages einig geworden und haben uns herzlich verabschiedet.

Im Laufe des Nachmittags habe ich noch Lothar – nur zum Haareschneiden – vorbei gebracht, was mir dann beim späteren Vorübergehen ein herzliches Zuwinken von Ali einbrachte.

Durch diese Stunde bei Ali war ich so erschöpft, dass ich den anschließenden Hamman – Besuch auf drei Worte reduziere: warm, hautverschönernd, muskelintensiv.

Ein schöner letzter Tag in der Türkei , der mit einem gemeinsamen Essen und einem herzlichen Dankeschön an Nacye, seit Istanbul unsere türkische Reisebegleiterin, endete.

Auf zur türkisch – iranischen Grenze und zu neuen Erlebnissen!

Jogi Meyer-Sieger

Hier der fotographische Nachtrag, auf vielfachen Wunsch:

Besuch beim Kuofoer Achim Hudewentz

6 comments to Ein Besuch beim Kuaför und im Hamman, 18. April

  1. Michael Jung sagt:

    Alleine diese Beschreibung reicht eigentlich schon als Grund, eine solche Reise selbst mal mit zu machen.
    *seufz*
    🙂

  2. Irene Heitz sagt:

    Ja, man kann richtig mitgenießen. Aber noch schöner wär ein Foto vom ergebnis gewesen 😉

  3. KathrinFelix sagt:

    Oh, ja, ein Foto wäre schön. Sowohl von der Prozedur wie vom Ergebnis.
    Ansonsten begleite ich Euch interessiert und freue mich für Euch. Und ein ganz klein wenig bin ich traurig, nicht dabei sein zu können.
    Weiterhin gute Reise und viele beeindruckende Erlebnisse.

  4. Karin König sagt:

    Und die daheimgebliebene Ehefrau sehnsüchtelt: „wie herrlich er nun duftet, wie sanft seine Haut jetzt ist und wie seidenweich dieser wunderbare Bart sich anfühlen würde……“

  5. Elke Henecka sagt:

    Herrlich – aber wirklich schade, dass den Daheimgebliebenen das Foto vorenthalten wird ;-))

  6. Elke Henecka sagt:

    Vielen Dank für das nachgereichte Foto vom Kuaför. Sehr schön anzusehen!! Und sehr gerne noch ganz viel mehr Fotos. Toll, diese Reise muss wirklich ein Traum sein.

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